Naturgeschichte

Das Eiszeitalter und seine Zeugen in Niederweningen

Der Mammuttorf als Umweltarchiv

Die späteiszeitlichen Torfschichten von Niederweningen zeigen eine komplexe Abfolge von kaltzeitlichen Seesedimenten und warmzeitlichen Sumpfablagerungen, die zusätzlich von späteren Deformationserscheinungen gestört sind. Nach neuesten Datierungen setzte die Verlandungsphase mit Torfbildung, ausgelöst von einer kurzen Klimaerwärmung, vor etwa 70 000 Jahren ein. Das Mammutskelett selbst war in den obersten 30 cm in einem eigentlichen Moostorf eingebettet, der etwa 45 000 Jahre alt ist. In der günstigsten Zeit war das Klima geprägt von kurzen warmen Sommern und kalten schneereichen Wintern. Verhältnisse wie man sie heute im Bereich der Waldgrenze in den Voralpen und im Jura findet. Oder in Sibirien am Übergang von den nördlichsten Nadelwäldern zur baumlosen Tundra. Die darüber liegenden hellgrauen Seesedimente zeigen eine deutliche Abkühlung an.

Aus der Zusammensetzung der Lockersedimente kann auf deren Ablagerungsbedingungen geschlossen werden. Die Fossilien, also die darin enthaltenen Reste ehemaliger Organismen, geben Auskunft über die früheren Lebens- oder Umweltbedingungen. Dabei sind die mikroskopisch kleinen Pollenkörner und Sporen von besonderem Wert, da sie durch ihre Häufigkeit und gute Erhaltungsfähigkeit einen relativ vollständigen Beleg der damaligen Pflanzenwelt darstellen. Zudem sind Pflanzen ausgezeichnete Anzeiger der jeweiligen Boden- und Klimaverhältnisse. So wird in der Pollenanalyse das Mengenverhältnis von Bäumen und Sträuchern gegenüber Kräutern zur Interpretation des Klimas benützt. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass im Torfprofil, also den am tiefsten gelegenen Sumpfablagerungen, nicht nur die dort lebenden Pflanzen überliefert sind, sondern auch Pollenkörner aus der Vegetation der umliegenden Hügelzüge, die durch Wind und Wasser zusammen getragen wurden.

Pollen und Käfer zeigen Vegetation und Klima an

Zu Beginn des Torfwachstums zeichnet sich in den Seesedimenten eine sehr offene Landschaft um einen verlandenden See ab. Die geringe Anzahl an Bäumen und Sträuchern zeigt, dass die klimatischen Bedingungen sehr ungünstig und für Baumwachstum weitgehend ungeeignet sind. Den Hauptanteil machen Wacholder (Juniperus), Birke (Betula) und Weide (Salix) aus. Während der folgenden Zeitspanne haben sich die klimatischen Bedingungen langsam gebessert, da die Bewaldung des Tales relativ rasch einsetzt. Lockere Mischwälder aus Rottanne oder Fichte (Picea), Birke (Betula) und Lärche (Larix) wuchsen im trockeneren Randbereich eines Flachmoors und in den tieferen Hanglagen. Die Föhre (Pinus) war selten. Neben Zwergbirken stehen einzelne Baumbirken und Fichten auch auf dem Moor. Der niedrige Anteil an Baumpollen vermittelt den Eindruck einer Vegetation, wie man sie heute am Übergang von den nördlichsten Nadelwäldern zur baumlosen Tundra findet. Auf den begrenzenden Hügelzügen Egg und Lägern wuchsen vor allem Arve, Lärche, Legföhre und Erle. Die Waldgrenze lag bedeutend tiefer als heute, so dass mindestens der oberste Teil der Lägern, und eventuell auch die Hochfläche der Egg, von baumlosen Alpenwiesen und offenen Steinflächen geprägt war.

Warme Sommer und kalte schneereiche Winter

Auf Grund der nachgewiesenen Pflanzen entsprach das Klima in der günstigsten Zeit etwa den Verhältnissen im Bereich der heutigen Waldgrenze in den Alpen oder im Jura: Warme Sommer, kalte schneereiche Winter. Die Vegetationszeit war eher kurz. Relativ genaue Angaben erlauben die nachgewiesenen Käferarten, die heute in Mitteleuropa ausgestorben und auf den Norden Schottlands, Skandinaviens, Sibiriens, Alaskas und Kanadas beschränkt sind. Während an extreme Kälte angepasste Formen nur im unteren und mittleren Abschnitt des Torfs auftreten, sind es im obersten Abschnitt hauptsächlich Arten der nördlichsten Wälder Sibiriens (Taiga). Die Durchschnittstemperatur für den wärmsten Monat (Juli) lag irgendwo zwischen 9°C und 11°C, für den kältesten Monat (Januar/Februar) zwischen -20°C und -9°C, also mindestens 8°C tiefer als heute (17–18°C bzw. -1°C).

Geochemische Untersuchungen der Sauerstoffisotopen-Zusammensetzung des Zahnschmelzes am Mammutfund von 2003 sowie an Skelettresten anderer eiszeitlicher Säugetiere der Altfunde von 1890/91 ergeben, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur in der Region 6°C kühler war als heute, wo sie bei 8.5°C liegt.

Sinkende Temperaturen und zunehmende Niederschläge

In den obersten Torfschichten, in denen auch das Mammutskelett lag, zeichnet sich das Ende des klimagünstigen Abschnittes ab: Die Fichtenbestände werden geringer. Arve und Lärche scheinen wegen der sinkenden Waldgrenze etwas häufiger zu werden. Wasserpflanzen sowie linsenartige Anschwemmungen von Holzsplittern und Ästen weisen auf ein allmähliches Überfluten des Moors hin. Die darüber liegenden Seesedimente zeigen das Wehntal als eine nahezu baumlose Landschaft. Die Fichte ist aus der Gegend verschwunden, die Föhre auf wenige kleine Bestände beschränkt und die Birke weiter dezimiert. Es bleiben zunächst noch ein schütterer Baumbestand von Lärchen und Arven sowie Kälte resistente Gebüsche wie Weide und Wacholder. Schliesslich breitete sich eine nahezu baumlose Tundra aus. Die Kräuterflora ist sehr verarmt, dafür erreichen Kälte- und Steppenanzeiger höhere Werte.

Die Bedeutung einer dünnen oberen Torfschicht im kühlzeitlichen Seebodenlehm ist noch ungeklärt: Dokumentiert die holzreiche Torfschicht eine weitere kurzfristige Erwärmung mit Verlandungsphase, oder handelt es sich um umgelagertes Material aus dem Randbereich der Haupttorfschicht am Nordhang der Lägern? Der ganze Torfkomplex ist oft in Falten gelegt, teilweise stark ausgedünnt oder sogar in schlingenartige Linsen zerlegt. Das weist auf Setzungserscheinungen und domartige Deformationen (Diapire) hin, wie sie beim tiefgründigen Gefrieren und Wiederauftauen in versumpften Bereichen der Tundra in Sibirien, Nordskandinavien und Nordkanada entstehen. Noch ist unklar, ob diese Phänomene einer Kaltzeit mit Permafrostbildung beim letzten Vorstoss der Alpengletscher bis Sünikon entstanden sind.

Lebensgemeinschaften und Biotope zur Zeit der Torfbildung

Neben den spektakulären eiszeitlichen Säugetieren wie Mammut und Wollnashorn sind aus der Torfschicht von Niederweningen viele kleinere Organismen wie Insekten und Pflanzen bekannt. Darunter allein 150 verschiedene Arten von Käfern und rund 60 Pflanzenarten. Nach einer sorgfältigen Analyse ihrer ökologischen Ansprüche im Vergleich mit heutigen Pflanzen- und Insektengesellschaften wurden verschiedene Biotope rekonstruiert. Sie existierten wohl mehr oder weniger gleichzeitig im Wehntal, allerdings in verschiedenen Höhenlagen. Zur Illustration werden sechs typische Lebensgemeinschaften in ihrem damaligen Biotop bildlich dargestellt. Sie zeigen allerdings nur eine Auswahl der typischen oder der interessantesten Pflanzen und Tiere. 

Sechs rekonstruierte Lebensgemeinschaften

aus dem Interstadial von Niederweningen (Illustrationen Bunter Hund, Atelier für Illustration, Zürich).

Das Wehntal in der Eiszeit

Das Wehntal entstand vor etwa 800 000 Jahren, als sich die Schmelzwasserflüsse und vorstossenden Alpengletscher der grössten Eiszeit tief in die älteren Ablagerungen der Deckenschotter und der Molasse einschnitten. In den nachfolgenden Warm- und Kaltzeiten wurden mehrfach Lockergesteine abgelagert und teilweise wieder erodiert. Das etwas abseits der grossen Gletscher- und Schmelzwasserströme liegende Wehntal wurde hauptsächlich von feinkörnigen See-, Sumpf- und Moorablagerungen gefüllt. Eine Felsschwelle zwischen Unter-Schneisingen und Lengnau hatte zur Bildung eines langen schmalen Sees geführt, dessen Wasserspiegel durch das Klima und Schmelzwasser gesteuert wurde. Die etwa 45 000 Jahre alten Torfschichten mit den Fossilien der eiszeitlichen Lebewesen wurden später durch Permafrost tiefgründig deformiert, aber anscheinend nicht mehr vom Gletscher überfahren. Der letzte maximale Gletschervorstoss vor etwa 24 000 Jahren reichte nur bis Sünikon.

Ältere kaltzeitliche Seeablagerungen füllen das junge Wehntal

Aus der Zeit vor der letzten Vergletscherung ist noch sehr wenig bekannt. Die Bohrung in der Talebene bei Oberweningen traf erst in 124 m Tiefe auf Grundmoräne, erreichte aber die Felsoberfläche nicht. Darüber liegen grobkörnige Schotter, die als Gletschersee-Moräne gedeutet wurden und kaltzeitliche Seeablagerungen. In 74 m Tiefe setzen feinkörnige Seeablagerungen ein. Das Alter dieser tief liegenden Moränen und Seeablagerungen ist unbekannt.

Warmzeitliche Sumpfablagerungen vor der letzten Eiszeit

Aus den drei Kernbohrungen von 1983 und 1985 wissen wir, dass in Niederweningen in mehr als 20 m Tiefe Ablagerungen einer früheren Warmzeit des Mittleren Pleistozäns liegen. Darüber folgen siltige Sande der vorletzten Eiszeit und in einer Tiefe von 10 bis 13 m Torfschichten, die nach vegetationsgeschichtlichen Untersuchungen der letzten Zwischeneiszeit (Eem-Interglazial) und dem Beginn der letzten Eiszeit (Würm-Glazial) entsprechen, also etwa 126 000 bis 100 000 Jahre alt sind. Im Interglazial waren wärmeliebende Pflanzen und Tiere, darunter Waldelefant, Flusspferd und Waldnashorn, auch nördlich der Alpen heimisch. Das zeigen unter anderem die Funde von Waldelefanten in der interglazialen Schieferkohle von Dürnten im Zürcher Oberland.

See- und Sumpfablagerungen der Würm-Eiszeit

In den maximal 6 m tiefen Baugruben von Niederweningen konnten nur spätpleistozäne Ablagerungen angeschnitten und untersucht werden. Es sind blaugraue Seebodenlehme mit der Mammuttorfschicht, die anscheinend auf ein 100 x 200 m grosses Gebiet westlich der Station Niederweningen Dorf beschränkt sind. Die 70 bis 170 cm dicke Torfschicht, in deren obersten Lagen die Fossilien der Mammute und anderer Eiszeittiere eingebettet sind, bildete sich nach neuesten Datierungen zwischen 65 000 und 45 000 Jahren vor heute am Rande des verlandenden Wehntalsees.

Klimaverschlechterung mit starken Niederschlägen

Nach einem relativ warmen Klima bei der Bildung des mittleren Teils des Mammuttorfs von Niederweningen verschlechterten sich die Umweltverhältnisse wieder. Das Moor wurde überflutet und von lehmigen Seesedimenten bedeckt. Dabei wurden die Torfablagerungen mit ihren eingelagerten Fossilien lokal erodiert und umgelagert, was 2004 in der talwärts liegenden Baugrube Mammutweg beim alten «Mammutloch» zu beobachten war. Vereinzelte Kalkgerölle im umgelagerten Torf weisen darauf hin, dass ein lokaler Bach vom Nordhang der Lägern eine Rolle spielte. In den hangwärtigen Baugruben des Feuerwehrgebäudes (1987) und der Murzlenstrasse (2003) traten dünne linsenartige und holzreiche Torfschichten in den jüngsten Seesedimenten auf. Es ist vorläufig unklar, ob es sich dabei um eine erneute Verlandungsphase während einer kurzen Klimaverbesserung handelt oder ob holzreiches Material aus dem Randbereich des früheren Moors am Südhang der Lägern bei einer späteren Rutschung umgelagert wurde.

Torf- und Schieferkohlevorkommen vor der letzten Vergletscherung

Neben der Mammuttorfschicht von Niederweningen gibt es aus der Nordschweiz, aber auch weltweit verschiedentlich Hinweise auf ein relativ warmes Klima aus dem mittleren Abschnitt der letzten Eiszeit. So ist aus der Bohrung Oberweningen ebenfalls ein Verlandungshorizont bekannt, der etwa 40 000 Jahre alt ist. Ein klassisches Profil zeigt die Kiesgrube Gossau im Zürcher Oberland, wo zwei Schieferkohlenbänder auf kiesigen Deltaablagerungen ausgebildet sind und ihrerseits von Moränen überlagert werden. Die untere Schieferkohle wurde zwischen 54 000 und 48 000 Jahren vor heute abgelagert, die obere Schieferkohle zwischen 41 000 und 33 000 Jahren vor heute. Wirbeltierreste wurden zwar nicht gefunden, aber Pflanzen- und Insektenreste zeigen eine gewisse Übereinstimmung mit dem Mammuttorf von Niederweningen. Offensichtlich waren die Gletscher in dieser relativ warmen Phase der letzten Kaltzeit, die weltweit nachgewiesen ist, stark geschmolzen.

Tiefgründige Deformationen im Permafrost

Da die Torfschichten mit den Seesedimenten zusammen häufig in schlingenartige Falten gelegt wurden und tropfen- oder domartige Aufwölbungen bilden, müssen sie nach ihrer Ablagerung tiefgründig deformiert worden sein. Vergleichbare Phänomene sind unter Permafrost-Bedingungen im arktischen Klima bekannt und stammen wohl aus der letzten Kaltzeit. Noch später wurden instabiles älteres Moränenmaterial und Gehängeschutt am Nordhang der Lägern umgelagert und als lehmiger Kies auf die bereits deformierten Sumpfablagerungen geschüttet, was zu Rutschungen und zu einer weiteren Verdichtung der immer noch wasserhaltigen Torfschichten führte. Vermutlich bildete sich in dieser Zeit die Talschlinge von Unterschneisingen über Unterehrendingen nach Lengnau was die Entwässerung des Wehntals durch die Surb verstärkte.

Letzter Gletschervorstoss bis Sünikon

Nach Ablagerung der Torfschichten wurde das Gebiet von Niederweningen offenbar nicht mehr vom Gletschereis überfahren, da kein jüngeres Moränenmaterial nachgewiesen ist. Gegen Ende der Eiszeit entstanden im Wehntal überwiegend Sumpfablagerungen, die nur durch lokale Bachschuttkegel und Rutschungen gestört wurden. Der letzte maximale Gletschervorstoss (LGM) vor etwa 24 000 Jahren reichte nur bis Sünikon, wo zwischen Schöfflisdorf und Steinmaur eine markante Stirnmoräne das Wehntal von der tiefer liegenden Sumpfebene des Neeracher Rieds abgrenzt. Mit der vor etwa 23 000 Jahren einsetzenden Klimaerwärmung schmolz das Eis ab. Stationäre Phasen oder sogar kurze Wiedervorstösse des Gletschers sind talaufwärts durch die Moränenwälle von Oberglatt (Schlieren-Stadium) und Wallisellen–Dübendorf (Zürich-Stadium, vor ca. 20 000 Jahren) belegt. Mit dem raschen weiteren Abschmelzen des Eises blieben vor 15 000 Jahren kleinere und grössere Seebecken zurück. Nach teilweiser Auffüllung und Tieferlegung der Ausflüsse sind der Greifensee, aber auch der Zürichsee oder Bodensee letzte Zeugen der glazialen Übertiefung in der Nordostschweiz.

Die jüngsten Mammutfunde im oberen Glattal und im Waadtländer Jura

Bis heute sind im Wehntal keine Mammutfunde aus der spätesten Phase der Eiszeit gemacht worden. Aus dem letzten Hochglazial sind in ganz Mitteleuropa keine sicheren Funde bekannt. Vermutlich sind die Eiszeitiere beim letzten Vorstoss der Gletscher aus den Alpen und aus Skandinavien wegen Nahrungsmangel nach Westen und Osten ausgewichen. Nach dem Abschmelzen des Eises herrschten wieder günstigere Bedingungen. Das belegen die relativ häufigen Funde isolierter Mammutzähne und -knochen aus den späteiszeitlichen Schottern des Glatttals bei Stadel und Glattfelden, sowie des Rheintals im Rafzerfeld, bei Weiach und Mellikon, die auf 20 000 bis 18 000 Jahre datiert wurden. Ein Knochenfund bei Uster und das Skelett von Praz-Rodet im Kanton Waadt sind die mit 14 000 Jahren jüngsten Nachweise des Mammuts in der Schweiz; damals waren die Gletscher bereits auf die heutigen Alpentäler beschränkt.