Naturgeschichte

Zur Geschichte der Mammutfunde in der Schweiz

Niederweningen, die bedeutendste Mammutfundstätte der Schweiz

Der spektakuläre Fund eines zusammenhängenden Mammutskeletts in einer Torfschicht in der Baugrube Murzlenstrasse in Niederweningen im Juli 2003 rückte die historischen Mammutfunde von 1890/91 im benachbarten «Mammutloch» aber auch die bisherigen Mammutfunde in der Schweiz in das Interesse der Öffentlichkeit. Aus Niederweningen sind bis heute mindestens zehn Mammute nachgewiesen, darunter ein ganz junges Mammutkalb. Mit den weiteren, allerdings spärlichen Fossilien von Wollnashorn, Wildpferd, Steppenwisent, Wolf, Schermaus, Lemming und Frosch ist Niederweningen die reichhaltigste eiszeitliche Wirbeltierfundstelle der Schweiz.

Die frühesten dokumentierten Funde von Mammutknochen aus der Schweiz wurden 1577 beim Kloster Reiden im luzernischen Wiggertal ausgegraben. Der damalige Basler Arzt Felix Platter bestimmte sie als Knochen eines 6 Meter hohen Riesen, damit gingen sie als «Riese von Reiden» oder «Luzerner Riese» in die Literatur ein. 1799 wurden diese und andere vergleichbare Knochen und Zähne aus Deutschland vom Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach erstmals dem Mammut, einem eiszeitlichen Elefanten zugeordnet und als Elephas primigenius beschrieben. Heute wird das eiszeitliche Wollhaarmammut in der Naturwissenschaft weltweit als Mammuthus primigenius bezeichnet.

Spätere Funde stammen meist aus Kies- und Sandgruben des Mittellandes. So sind z.B. aus dem Gebiet von Basel seit 1769 über 200 Mammutknochen und -zähne bekannt geworden und auch aus dem Kanton Zürich wurden seit 1821 mehr als 60 Funde vermerkt.

Seit den Mammutfunden von 1890/91 ist Niederweningen die reichhaltigste eiszeitliche Wirbeltierfundstelle der Schweiz. Hier wurden 1890 beim Kiesabbau für die neue Bahnlinie in einer unter Kies und Lehm liegenden Torfschicht spektakuläre Funde gemacht. Mehr als 100 Knochen, Backenzähne und Stosszähne stammen von mindestens sieben verschiedenen Mammuttieren, darunter ist ein unvollständiger Skelettrest eines ganz jungen Mammutkalbs von besonderem wissenschaftlichem Interesse. Zusätzlich fanden sich in der eiszeitlichen Torfschicht und in darüber liegenden tonigen Seeablagerungen einzelne Knochen und Zähne von Wollnashorn, Wildpferd, Steppenwisent, Wolf, Schermaus, Lemming und Frosch. Bereits 1892 wurde in der ETH Zürich eine eindrückliche Rekonstruktion eines Mammutskeletts gezeigt, deren teilweise ergänzte Originalknochen von mindestens fünf verschiedenen Individuen stammten. Ab 1914 fand das Niederweninger Mammut seinen Stammplatz im Zoologischen Museum des neu erbauten Hauptgebäudes der Universität Zürich. Erst Jahre später, als weitere gut erhaltene Mammutkadaver aus dem Permafrostboden in Sibirien bekannt wurden, stellte man fest, dass die Stosszähne seitenverkehrt eingesetzt worden waren. Die damaligen Funde befinden sich heute in der Sammlung des Paläontologischen Museums. Eine mit passenden Kunststoffabgüssen ergänzte, korrekte Skelettrekonstruktion eines ausgewachsenen Mammuts ist seit 1991 im Zoologischen Museum der Universität Zürich ausgestellt.

Karte der Schweiz mit den wichtigsten Mammutfundorten

Skelettrekonstruktionen des Niederweninger Mammuts

FrĂĽhere wissenschaftliche Untersuchungen in Niederweningen

Die wissenschaftliche Bedeutung und besonders das Alter der Mammut-führenden Torfschicht von Niederweningen waren lange umstritten, da die Fachleute bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein sehr junges, nacheiszeitliches Alter annahmen. Vegetationsgeschichtliche Untersuchungen der komplexen Torfprofile in Kernbohrungen von 1983 hingegen wiesen auf ein höheres Alter am Beginn der letzten Eiszeit hin. Mit modernsten physikalischen Methoden zur Altersbestimmung von Knochen, Zähnen und Holz aus der Torfschicht und des darüber liegenden Seebodenlehms konnte das Alter der obersten Torfschicht mit dem Mammutfund auf 45 000 Jahre festgelegt werden. Aus der Schweiz sind nur wenige vergleichbare Mammutreste bekannt, die so alt sind. Während die Funde aus den Schieferkohlen von Gondiswil im Grenzgebiet der Kantone Luzern und Bern mit 55 000 – 48 000 Jahren etwas älter sein dürften, sind die meisten übrigen Mammutreste der Schweiz mit 20 000 – 14 000 Jahren deutlich jünger.

Obwohl bei den Grabungsarbeiten 1890/91 auch Albert Heim, der damalige Professor für Geologie an der ETH Zürich, zu Rate gezogen und ein geologisches Profil mit Sedimentproben dokumentiert wurde, konnten keine genaueren Angaben zum Alter der Torfschicht und der spektakulären Funde gemacht werden. So schrieb Heim (1919) in seinem grossartigen Lehrbuch «Geologie der Schweiz» vom «postglazialen Torf» von Niederweningen, nahm also ein nacheiszeitliches Alter an.

Neue Forschungen erfolgten erst durch Max Welten, Professor für Botanik an der Universität Bern, der zwei wissenschaftliche Bohrungen von 1983 im Hinblick auf eine vegetationsgeschichtliche Untersuchung der Torfschichten auswertete. Welten zeigte 1988, dass die in 7 m Tiefe angebohrten obersten Torfschichten an den Beginn der letzten Eiszeit zu stellen sind (vor ca. 100 000 Jahren), ein tiefer liegender Teil aber noch zur letzten Zwischeneiszeit (Interglazial) gehört (vor ca. 120 000 Jahren)

Eine weitere Bohrung 1985 im Bereich des geplanten Feuerwehrgebäudes zeigte zwei dicke Torfschichten: eine jüngere in 3,00–4,50 m Tiefe, darunter 6 m siltige Sande und in 10 m Tiefe eine 2,60 m dicke ältere Torfschicht. Noch war aber unklar, aus welchem Torf die Mammutfunde stammten.

Der Aushub des Gebäudes wurde dann 1987 durch Mitglieder des Vereins für Ortsgeschichte Niederweningen unter wissenschaftlicher Leitung des Geologen Christian Schlüchter und des Paläontologen Karl Hünermann begleitet. Die jüngere Torfschicht wurde grossflächig angeschnitten und zeigte auffällige domartige Deformationserscheinungen (Diapire), wie sie beim tiefgründigen Gefrieren und Wiederauftauen in versumpften Bereichen der Tundra in Sibirien, Nordskandinavien und Nordkanada entstehen. In der Torfschicht fanden sich ausser reinen, moosreichen Torflagen mit auffälligen Käferresten auch zusammengespülte Holzlinsen aus vorwiegend Birkenästen. Zur grossen Enttäuschung kam nur ein kleines, unbestimmbares Knochenfragment zum Vorschein. Beim Aushub für das Schulhaus Mammutwies, das 1990 im Bereich des «Mammutlochs» von 1890 gebaut wurde, kam nur wenig Torf zum Vorschein, aus dem neben kleinen Knochensplittern wenigstens drei Mäusezähne heraus gewaschen werden konnten.

Wichtige Beobachtungen ermöglichte 1994 eine Grundwasserbohrung in der Talebene bei Oberweningen, in der die Grundmoräne erst in 124 m Tiefe erreicht wurde. Darüber lagen grobkörnige Schotter, die als Gletschersee-Moräne zu deuten sind, sowie kaltzeitliche Seeablagerungen. In 18 m Tiefe wurden die feinkörnigen Seebodenlehme von Verlandungssedimenten mit Torf abgeschlossen, der etwa 40 000 Jahre alt ist. Darüber folgten lehmiger Kies und reine Schotter, die vom jüngsten Vorstoss des Linthgletschers in das Glatttal zeugen. Die zugehörige Endmoräne ist als markanter Hügelzug zwischen Schöfflisdorf und Steinmaur erkennbar.

Schematisches Säulenprofil

Das Alter der Mammutfunde von Niederweningen und anderer Schweizer Fundstellen

Das Alter der Mammutfunde von Niederweningen war lange umstritten. 1994 ergaben erste Radiokarbondatierungen (14C-Methode) an Pflanzenmaterial und Knochenfunden von 1890 und 1987 ein überraschend junges Alter von etwa 33 000 und 35 000 Jahren. Aufwändige neue Datierungen mit einer verbesserten 14C-Methode am Neufund 2003 und Altfund 1890 weisen darauf hin, dass die früheren Altersbestimmungen korrigiert werden müssen. In Übereinstimmung mit der Thermoluminiszenz-Datierung des darüber liegenden Seebodenlehmes konnte das Alter des neuen Mammutfundes und von Hölzern, die in der gleichen Torfschicht lagen, auf 45 000 Jahre festgelegt werden.

Mit entsprechender Vorsicht sind die vergleichbaren 14C-Alter von Mammutzähnen in einer Kiesgrube von Obfelden aufzunehmen. Im Reusstal-Schotter dieser Region wurden verschiedentlich Mammutreste gefunden. Etwas älter sind die Mammutzähne von Gondiswil, die von 1917–1920 beim Abbau von Schieferkohle im Grenzgebiet der Kantone Bern und Luzern zum Vorschein kamen. Sie sind nach vegetationsgeschichtlichen Untersuchungen 55 000–48 000 Jahre alt.

Die meisten übrigen Mammutreste der Schweiz, fast immer isolierte Backenzähne, Stosszähne und Knochen, fand man in Kies- und Sandgruben, die beim letzten grossen Gletschervorstoss abgelagert wurden. Dazu gehören auch die relativ zahlreichen Funde aus den zürcherischen Kiesgruben von Glattfelden, Weiach und dem Rafzerfeld, die 22 000–18 000 Jahre alt sind. Aus der gleichen Zeit stammt der Mammutschädel, der 1987 in einer Kiesgrube bei Mellikon AG entdeckt wurde. Im selben Jahr wurde in Uster der mit 14 000 Jahren jüngste Mammutknochen des Kantons Zürich geborgen. Etwa gleich alt ist der bisher vollständigste Mammutfund der Schweiz, der 1969 in einer Kiesgrube bei Praz-Rodet im Vallée de Joux VD ausgegraben wurde. Dieses etwa zu 80% erhaltene Mammutskelett ist hier im Museum in einer ergänzten Rekonstruktion zu sehen.

Die Mammutfunde 2003 und 2004 von Niederweningen

Am 2. Juli 2003 entdeckte ein Baggerführer in der Baugrube Murzlenstrasse in Niederweningen, den Unterkiefer eines weiteren Mammuts. In einer Rettungsgrabung wurden Knochen und Zähne eines grossen zusammenhängenden Skelettrestes aus einer Torfschicht geborgen und sorgfältig dokumentiert. Damit rückte das Fundgebiet von Niederweningen als bedeutendste Mammutfundstätte der Schweiz nach über 100 Jahren erneut in das Interesse von Öffentlichkeit und Wissenschaft. Die im Torf erhaltenen Pflanzenreste – Wasserpflanzen, Torfmoos, Blätter, Samen, Hölzer, besonders aber auch Pollen und Sporen – sowie die vielen Insektenreste ermöglichen zudem detaillierte Aussagen zur Klimaentwicklung während der letzten Vergletscherung in der Schweiz.

Der am 2. Juli 2003 vom Baggerführer Thomas Maag entdeckte Skelettrest eines weiteren Mammuts in der Baugrube an der Murzlenstrasse 7 in Niederweningen lag nur 100 m vom alten «Mammutloch» von 1890/91 entfernt. In einer dreiwöchigen Rettungsgrabung bargen die Kantonsarchäologie Zürich und das Paläontologische Museum der Universität Zürich den Unterkiefer mit zwei Backenzähnen, vier isolierte Backenzähne des Oberkiefers, Teile der beiden Stosszähne sowie weitere 50 Knochen. Die sorgfältige Dokumentation der Funde und der geologischen Profile sowie die systematischen Probenentnahmen bildeten die Grundlage für spätere vegetationsgeschichtliche Untersuchungen der komplexen Schichtabfolge.

In einer weiteren Baugrube am Mammutweg, direkt anschliessend an das Niederweninger «Mammutloch» von 1890, wurde im April 2004 wiederum eine Torfschicht angeschnitten. Bei der systematischen Aushubbegleitung und einer Notgrabung im Bereich der geplanten Tiefgarage wurden auf einer Fläche von etwa 45 m² mehrere Knochen und Zähne geborgen. Die Mammutreste, darunter zwei Rückenwirbel, einige Rippen, ein Unterkieferfragment mit stark abgekautem Backenzahn und ein gut erhaltener Stosszahn, stammen vermutlich von einem älteren Mammutbullen, dessen Knochen und Zähne nach dem Tode durch ein Hochwasser verschwemmt wurden. Auf Umlagerungsprozesse deuten der hohe Sandanteil, die vielen Brocken von aufgearbeitetem Torf, einzelne gerundete Gerölle und die meist fragmentarische Erhaltung der Mammutknochen. Daneben fanden sich auch relativ viele kleine Knochen von Fröschen und Vögeln, Kieferfragmente und Einzelzähne von zwei Mäusearten, ein einzelner Zahn der Höhlenhyäne sowie viele Insektenreste.

Zur Geologie und Erdgeschichte des Wehntales

Das Wehntal liegt nördlich der Lägern, dem östlichsten Ausläufer des Faltenjuras, und ist in die Gesteine der Molasse der Tertiär-Zeit eingeschnitten. Die Auffaltung des Juragebirges und damit auch der Lägern geschah nach der Ablagerung der Molasseschichten in der Zeit zwischen 5 und 10 Millionen Jahren vor heute. Die darüber liegenden Deckenschotter kamen als älteste Ablagerungen des Eiszeitalters vor etwa 2 Millionen Jahren dazu. Das Wehntal selbst entstand vor etwa 800 000 Jahren, als sich die Schmelzwasserflüsse und vorstossenden Alpengletscher der grössten Eiszeit tief in die älteren Ablagerungen der Deckenschotter und der Molasse einschnitten. In den nachfolgenden Warm- und Kaltzeiten wurde das etwas abseits der grossen Gletscher- und Schmelzwasserströme liegende Tal hauptsächlich von feinkörnigen Seeablagerungen gefüllt. Zwischen 65 000 und 45 000 Jahren vor heute bildeten sich am Rande eines verlandenden Wehntalsees im Gebiet von Niederweningen die Torfschichten, in deren obersten Lagen die Fossilien der Eiszeittiere erhalten geblieben sind.

Bei einer Tiefbohrung im Wehntal würden immer ältere Ablagerungs- oder Sedimentgesteine durchschnitten, bis man in etwa 1300 m Tiefe auf das mindestens 300 Millionen Jahre alte kristalline Grundgebirge träfe. Bei der Auffaltung des Juragebirges und damit auch der Lägern wurde auf leicht verformbaren Gesteinen (Salz, Anhydrit der mittleren Trias) das gesamte darüber liegende Gesteinspaket (mittlere Trias bis später Jura und Tertiär) durch den Schub der Alpen nach Nordwesten verschoben und verfaltet. Im Bereich der überkippten und durch Brüche gestörten Antiklinalstruktur der Lägern sind auch die Sedimentgesteine der Molasse steil gestellt, bei Niederweningen bilden sie noch eine flache Mulde mit praktisch horizontal liegenden Sandsteinen und Mergeln der Oberen Meeresmolasse und der darüber liegenden Oberen Süsswassermolasse, die bis in das mittlere Miozän reicht.

Wie ein Deckel liegen darüber im Gebiet der Egg oder der Schleiniker Platten die gut zementierten Nagelfluhbänke der Deckenschotter. Diese ältesten Ablagerungen des Eiszeitalters setzen mit scharfer Grenze vor etwa 2 Millionen Jahren ein, nach einer etwa 8 Millionen Jahre umfassenden Lücke in der Erdgeschichte. Nach einer bedeutenden morphologischen Veränderung vor etwa

1 Million Jahren schnitten sich die Schmelzwasserflüsse und vorstossenden Gletscher der grössten Eiszeit in das Gebiet ein und räumten das Wehntal und seine direkte Verlängerung nach Lengnau ins Surbtal aus. In den nachfolgenden Warm- und Kaltzeiten wurde das etwas abseits der grossen Gletscher- und Schmelzwasserströme liegende Wehntal hauptsächlich von feinkörnigen See-, Sumpf- und Moorablagerungen gefüllt. Offensichtlich führte die Felsschwelle zwischen Unter-Schneisingen und Lengnau zur Bildung eines langen schmalen Sees, dessen Wasserspiegel durch das Klima und Schmelzwasser gesteuert wurde.

Zwischen 65 000 und 45 000 Jahren vor heute bildeten sich am Rande dieses verlandenden Wehntalersees im Gebiet von Niederweningen die Torfschichten, in deren obersten Lagen die Fossilien der Mammute und anderer Eiszeittiere eingebettet sind. Nach einer nochmaligen Überschwemmungs- und Verlandungsphase mit Seesedimenten und Torf kühlte sich das Klima stark ab. Älteres Moränenmaterial und Gehängeschutt vom Nordhang der Lägern wurden als lehmiger Kies auf die Sumpfablagerungen geschüttet. Offensichtlich wurde das Wehntal aber nicht mehr vom Gletschereis überfahren. Die markante Stirnmoräne weiter talaufwärts bei Sünikon stammt vom letzten Gletschervorstoss vor 24 000 Jahren, der mit der raschen Klimaerwärmung vor 22 000 Jahren endete. Seither dominierten im Wehntal wiederum Sumpfablagerungen, die nur noch durch lokale Bachschuttkegel und Rutschungen gestört wurden.