Kulturgeschichte

Das Mammut und der Mensch

Der Neandertaler und der moderne Mensch

In der Zeit zwischen 200 000 und 30 000 vor heute lebten in Europa die Neandertaler (Homo sapiens neanderthalensis). Ihrer Intelligenz und Geschicklichkeit verdankten sie es, dass sie sich an die Kaltsteppe anpassen konnten und mehrere eiszeitliche Kaltphasen überstanden. Im Verlauf der Zeit stellten sie immer vielfältigere Werkzeuge aus Feuerstein, Knochen und Holz her, was auf differenzierte Tätigkeiten hinweist. Da sie ihre Toten bestatteten und ihnen Grabbeigaben ins Grab legten, müssen sie religiöse Vorstellungen entwickelt haben. Die Neandertaler waren also keinesfalls die unbeholfenen, primitiven Rohlinge, als die sie lange Zeit dargestellt wurden.

Vor etwa 45 000 Jahren wanderte ein neuer, anatomisch moderner Mensch aus dem Nahen Osten nach Europa ein und verdrängte den Neandertaler nach und nach: der Homo sapiens sapiens, der vom heutigen Menschen kaum zu unterscheiden ist. Neandertaler und anatomisch moderne Menschen lebten in Mitteleuropa mehrere tausend Jahre nebeneinander, bevor der Neandertaler vor rund 25 000 bis 30 000 Jahren ausstarb. Wurde er vom anatomisch modernen Menschen verdrängt? Konnten sich die beiden Menschenformen untereinander fortpflanzen und verschwand der Neandertaler im Verlauf von wenigen tausend Jahren durch Vermischung mit dem anatomisch modernen Menschen? Oder spielten klimatische Veränderungen und unterschiedliche Geburts- und Sterberaten der beiden Menschenformen ein Rolle? Die Ursachen seines Verschwindens werden kontrovers diskutiert und sind keinesfalls geklärt. Die Vorgänge, die sich in Europa zwischen dem Eintreffen des modernen Menschen und dem Verschwinden der Neandertaler abgespielt haben, sind mit Sicherheit weit komplexer als lange Zeit angenommen wurde.

Neandertaler und Homo sapiens an der Lägern?

Auf die Anwesenheit von prähistorischen Menschen kann in der Regel nur indirekt, über Funde von Stein- und Geweihgeräte und Abfälle geschlossen werden: Skelettreste von eiszeitlichen Menschen sind in der Schweiz nur äusserst selten gefunden worden. Der älteste gesicherte menschliche Fossilfund der Schweiz, ein weiblicher Oberkiefer, stammt aus der Höhle von Cotencher im Kanton Neuenburg. Die 40-jährige, vor 40 000 Jahren verstorbene Frau gehörte zu den Neandertalern. In Niederweningen wurden keine eiszeitlichen Menschenknochen gefunden; Hinweise auf menschliche Aktivitäten – etwa Schlachtspuren oder Feuersteingeräte – konnten bei keinem der Niederweninger Mammutfunde festgestellt werden. Funde von Silexgeräten aus Otelfingen zeigen, dass der moderne Mensch erst viel später, ab dem Ende der letzten Eiszeit, in der Region Lägern gelebt hat.

Grosswildjagd

Verschiedene Beobachtungen und Untersuchungen von Ausgrabungen belegen, dass bereits die Neandertaler hoch spezialisierte Jäger mit gezielten Jagdstrategien waren. In Schöningen, Niedersachsen, fand man mehrere hölzerne, 2,5 m lange Wurfspeere, mit denen die Vorfahren der Neandertaler vor rund 400 000 Jahren Wildpferde gejagt hatten. Vermutlich waren die Neandertaler darauf spezialisiert, grosse und mittelgrosse Tiere aus geringer Distanz zu erlegen. Bei Lehringen (Verden an der Aller) fand man 1948 das Skelett eines Waldelefanten – zusammen mit einer Eibenholzlanze und verschiedenen Werkzeugen aus Feuerstein – der vor 125 000 Jahren erlegt worden war. Dass der Neandertaler Grosswild, insbesondere auch Mammute gejagt hat, zeigt der Befund von Salzgitter-Lebenstedt: hier fand man eine grosse Anzahl Knochen von Rentieren, Pferden, Wisent, Mammut und Wollnashorn. Schnittspuren an den Knochen zeigen, dass der Neandertaler diesen Platz vor rund 50 000 Jahren wiederholt als Schlachtplatz genutzt hatte. Seine Ernährung bestand vorwiegend aus Fleisch. Der eiszeitliche Mensch könnte der einzige natürliche Feind des Mammuts gewesen sein. Um ein Mammut zu jagen brauchte es ein gut eingespieltes Team. So konnte etwa ein Tier mit einer Feuerkette in eine bestimmte Richtung getrieben (Feuertreibjagd) oder in einer Fallgrube mit Lanzen erlegt werden. Trotzdem dürfte die Mammutjagd nicht alltäglich und zudem gefährlich gewesen sein.

Jagdwaffen

Um das durch das dichte Fell, die zähe Haut und die dicke Fettschicht gut geschützte Mammut erlegen zu können, musste man dem mächtigen Urtier ziemlich nahe kommen. Sicherlich sind feuergehärtete Holzlanzen zum Einsatz gekommen; manchmal bewehrte man diese auch mit Feuersteinspitzen. Bei Sungir, östlich von Moskau, fand man in einem vor 30 000 bis 40 000 Jahren angelegten Grab die Jagdwaffen von zwei Knaben, die zu den eiszeitlichen Nomaden und Jäger in der russischen Tundra gehörten. Die Spitze einer aus Mammutelfenbein hergestellten, aufwändig gearbeiteten Lanze war mit zahlreichen kleinen Silex-Widerhaken besetzt und gegen unten mit einer Elfenbeinscheibe abgeschlossen. Die Herstellung der 2,4 m langen Schäfte aus den gebogenen Mammutstosszähnen erforderte ein hohes handwerkliches Können. Man vermutet, dass zum Begradigen von Geweih- und Knochenstücken die sogenannten Lochstäbe benutzt worden sind. Andere Funde zeigen Holzlanzen mit einfacheren Knochen- oder Elfenbeinspitzen, mit denen Pferde, Rentiere, Wollnashörner oder Mammute gejagt werden konnten. Im Verlauf des Jungpaläolithikums (35 000–10 000 Jahre vor heute), des jüngsten Abschnitts der Altsteinzeit, verfeinerte der Mensch die Jagdtechniken: Durch die Erfindung der Speerschleuder vor etwa 20 000 Jahren konnte er eine wesentlich grössere Durchschlagskraft und Reichweite als bei einem von Hand geworfenen Speer erzielen. Mit dieser Waffe liess sich die wildreiche Lösssteppe optimal nutzen und Grosswild aus relativ sicherer Distanz erlegen.

Verwertung eines toten Mammuts

Ein Mammut stellte eine gewaltige Nahrungs- und Rohmaterialquelle dar. Neben Fleisch und Fett konnten Knochen, Sehnen und Fell für die Herstellung von Waffen, Geräten und Gebrauchsgegenständen genutzt werden. Ein begehrter Rohstoff war das Elfenbein der Stosszähne; daraus entstanden Geschossspitzen und Schmuckanhänger oder geschnitzte Tier- und Menschenfigürchen. Jüngst wurde in der Geissenklösterle-Höhle bei Blaubeuren in der Schwäbischen Alb sogar eine aus Mammutelfenbein geschnitzte Flöte gefunden. Die Anfänge der Musik reichen damit bis in die Zeit vor mehr als 35 000 Jahren zurück. Gelegentlich dürften die Menschen auch «altes» Elfenbein gefunden und weiter verarbeitet haben. Von zentraler Bedeutung für die Bearbeitung von Knochen und Elfenbein waren aber Feuersteingeräte (Silex): es gab «Kratzer», mit denen die Tiere gehäutet wurden. Mit «Klingen», «Messern» und «Spitzen», «Bohrer» und «Sticheln» liessen sich Knochen, Geweih und Holz schnitzen sowie Nahrungsmittel zerkleinern. Die grossen Mammutknochen dienten auch als Baumaterial für Behausungen und als Brennstoff für den Betrieb der Herdstellen, denn die kargen Lösssteppen lieferten nicht überall ausreichend Holz. Mit der zunehmenden Klimaerwärmung nach dem Ende der letzten Eiszeit starb das Mammut vor gut 10 000 Jahren aus; man geht heute davon aus, dass auch der Mensch eine Mitschuld am Aussterben dieser Riesen trug.

Mammutelfenbein – ein idealer Werkstoff

Werkzeuge, Schmuck und kultische Gegenstände aus Knochen, Geweih und Zahnsubstanz kommen bei vielen archäologischen Ausgrabungen zutage. Bereits in prähistorischer Zeit stellten Haus- und Jagdtiere nicht nur eine wichtige Nahrungsgrundlage des Menschen dar, sondern wurden auch als Rohstoffquelle genutzt. Das kostbare Elfenbein des Mammuts wurde besonders geschätzt, um Tier- und Menschenfiguren zu schnitzen. Zahlreiche Elfenbeinschnitzereien konnten aus den Höhlen der Schwäbischen Alb geborgen werden; sie stammen aus der Altsteinzeit (Aurignacien, ca. 35 000–28 000 Jahre vor heute). Da Elfenbein eines der härtesten und dichtesten organischen Materialien (Mohshärte 3–5) ist, bildet es ein ideales Rohmaterial für Schnitzereien. Es besteht zu ca. 60% aus Zahnbein und zu ca. 40% aus Knorpelsubstanz. Diese Knorpelsubstanz macht das Material enorm elastisch. Es lassen sich Späne abheben, ohne dass das Material ausbricht, und damit stabile Spitzen für die Bewehrung von hölzernen Lanzen herstellen.

Schmuck und Amulette

Schmuck lässt sich mit fast allen in der Natur vorkommenden Materialien herstellen. Die meisten prähistorischen Schmuckstücke sind aber nicht überliefert, da sie aus leicht vergänglichen Materialien bestanden haben. Nur Schmuckelemente aus dauerhafteren Materialien haben die Jahrtausende im Boden überstanden; Schmuckschnecken, Stein- und Bernsteinperlen oder gelochte Tierzähne stammen von Halsketten, wurden als Anhänger getragen oder auf Kleider aufgenäht. Sicherlich trug man einige von ihnen auch als Amulette, etwa um gegen Krankheiten oder böse Geister gefeit zu sein. Aus Mammutelfenbein und Mammutknochen stellte man Fingerringe oder Arm- und Fussringe her. Mehrere, mit eingeschnittenen Mustern versehene «Haarspangen» aus Mammutelfenbein wurden in Pavlov (Südmähren) gefunden; eine eindeutige Interpretation der Gegenstände ist nicht möglich, es könnte sich auch um Diademe, «Schwirrhölzer» (diese verursachen, an einer Schnur im Kreis herum geschwungen, einen singenden Ton) oder einfach um Schmuckanhänger handeln. ische Wesen und Alltagsgegenstände.

Die Verschmelzung von Realität und Mythischem begegnet uns im Jungpaläolithikum bei verschiedenen Fundgegenständen. Eines der berümtesten Beispiele ist die einzigartige Tier-Mensch-Figur aus Mammutelfenbein vom süddeutschen Höhlenfundplatz Stadel im Lonetal. Die menschenähnliche Figur hat einen Löwenkopf, Pranken und Pferdehufe: wie sah wohl die Vorstellungswelt der Menschen aus, die dieses phantastische Wesen vor 35 000 Jahren schufen? In solchen mythischen Wesen vermischen sich Weltanschauung, Religion und Kult; sie lassen auf eine enge Beziehung von Mensch und Tier in den jungpaläolithischen Jägerkulturen Europas schliessen. Ähnliche Mischwesen, beispielsweise der «Mammutmensch» von Les Combarelles (Frankreich), wurden auch in Höhlenmalereien dargestellt (eine Abbildung davon ist in der Ausstellung bei der «Eiszeitkunst» zu sehen). Viele Gegenstände aus dieser Zeit sind heute nicht mehr erklärbar; was steckt hinter den flachen Knochengeräten mit den regelmässig eingeritzten Rillen aus Dolni Vestonice? Wozu wurde die fein gearbeitete Elfenbeinsohle aus der Kniegrotte hergestellt? Der Verwendungszweck von anderen Objekten scheint klarer zu sein: Anhänger, Perlenketten, Speerschleudern oder Flöten lassen sich einem bestimmten Gebrauch zuordnen.

Häuser aus Mammutknochen

In den kargen Tundrengebieten der Ukraine, Russlands und Sibiriens benutzten die Menschen vor 15 000 Jahren manchmal Mammutknochen, um ihre Winterquartiere zu bauen. Denn die grossen Mammutknochen und Stosszähne eigneten sich gut als Baumaterial und Holz war kaum vorhanden. Solche Hütten aus Mammutknochen haben sich in den Lössböden gut erhalten, so dass sie ausgegraben und rekonstruiert werden konnten; die bekannteste Siedlung dieser Art stand in Meshiritsch in der Ukraine. 

Man nimmt an, dass die meisten Knochen für die Mammuthütten nicht von erlegten Mammuts stammen, sondern von einem Mammutfriedhof – ähnlich den heutigen Elefantenfriedhöfen – aufgesammelt worden sind. Die «Dörfer» der jungpaläolithischen Menschen standen vorwiegend entlang des Dnjepr und an seinen Nebenflüssen – noch viel ältere Überreste von Mammutknochenbehausungen sind in Westeuropa gefunden worden: in der Grotte du Renne von Arcy-sur-Cure (Frankreich, Dép. Yonne) wurden vor 40 000 bis 35 000 Jahren Mammutstosszähne als Hauspfosten benutzt. Als Unterbau für die Mammutknochenhütten verwendete man vorwiegend Schädel, Unterkiefer und Schulterblätter, aber auch die Langknochen des Mammuts. Im Durchschnitt verbaute man für jede der fünf Hütten in Meshiritsch 15 bis 20 Tonnen Knochen und Stosszähne! Kleine Pfostenlöcher im Innern der Hüttengrundrisse und in die Knochen eingeschnittene Löcher zeigen, dass die Konstruktionen zusätzlich von einem Holzgerüst gestützt worden sind. Die runden oder ovalen Hütten wurden mit Fellen oder Grassoden bedeckt. Im Innern findet man oft Feuerstellen, in denen man mit Knochen feuerte. Konzentrationen von Feuersteingeräten zeigen an, wo innerhalb der Hütten die Arbeitsbereiche lagen. Die Abfälle in den Mammutknochen-Fundplätzen zeigen, dass die Siedlungen über mehrere Jahre hinweg bewohnt waren. Damit scheint es bereits in der ausgehenden Altsteinzeit, als das Klima gegen Ende der Eiszeit weltweit wärmer wurde, Menschengruppen gegeben zu haben, die saisonal sesshaft gewesen sind – in den Sommermonaten zogen sie auf Grosswildjagt und lebten als (Halb-)Nomaden, in den kalten Monaten dienten ihnen die Mammuthütten als Winterquartier. Vorräte und Fleisch lagerte man ausserhalb der Hütten in Gruben. Neben Resten von Grosswild wurden in den Siedlungen auch Reste von Fischen, Enten, Schwänen, Gänsen und Schneehühnern, aber auch von Polarfüchsen und Wölfen gefunden.